Die Berliner Band il Civetto hat sich im Geiste des Pop neu erfunden – und Global Pop gleich dazu: Ihr universeller Melting–Pop bricht mit westlicher Kulturdominanz und bezieht seine Energie aus den offenen Versuchslaboren der Berliner Techno–Szene. Die bisherige Karriere von il Civetto: ein Spiel nach eigenen Regeln.
Ein Abend im Mai 2011. Bereits aus der Ferne scheint der U–Bahnhof Schlesisches Tor in Berlin zu beben. Hypnotische Beats und Melodien elektrisieren die Luft, eine unwiderstehliche Anziehungskraft geht von dem historistischen Ziegelbau aus. Im Inneren des Bahnhofs beugen sich ein paar junge Musiker über ihre Instrumente und verwandeln die Szenerie binnen Minuten in einen orgiastischen Street Rave. Schon bald drängen sich die Massen bis zur Straße und darüber hinaus, der Späti-Verkäufer kommt mit den Getränken nicht mehr nach. Alles, was man international irgendwo zwischen Anything Goes, Diversität und Hedonismus mit dieser Stadt verbindet, manifestiert sich im Hier und Jetzt. Nirgendwo sonst will man an diesem Abend sein.
»Ein Freund von uns hat die Sicherheitsleute mit Döner bestochen, damit wir ein bisschen länger spielen konnten«, erinnert sich Leon Bollinger zehn Jahre später. Bollinger ist Schlagzeuger und Percussionist bei der Berliner Band il Civetto, mit der er an jenem denkwürdigen Abend das bis dahin erfolgreichste ihrer frühen Guerilla–Konzerte gespielt hatte. Seitdem hat die Gruppe auf organische Weise eine überaus beeindruckende Entwicklung genommen, die nun in dem universellen Melting– Pop von neuen Stücken wie »Rio–Reiser–Platz« ihren vorläufigen Höhepunkt findet – und 2022 im bislang besten Album von il Civetto gipfeln wird, dazu später mehr.
Um nun aber zu verstehen, wie die Dinge bei il Civetto zusammengehören, ist es wichtig, die Geschichte der Band zu kennen. Bollinger (Schlagzeug & Percussion), Lars Löffler– Oppermann (Saxofon, Klarinette) sowie der Sänger und Bassist Leon Keiditsch kannten sich damals bereits seit der Mittelstufe. Das Kapital ihrer Freundschaft lag auch in der Vielseitigkeit, die sich automatisch aus der unterschiedlichen Sozialisation der Freunde ergab. Während Bollinger mit Manu Chao und Desert Blues aufgewachsen ist, hat Löffler–Oppermann klassisch Klarinette gelernt, bereits in jungen Jahren Klezmer und Balkan Beats gespielt und später an der UDK studiert, derweil Keiditsch
klassischen Gesang gelernt hat und in Kindheit und früher Jugend als großes Opern–Talent galt. Und alle zusammen gingen sie dann in die Berliner Techno–Clubs.
Das ist das Fundament dieser Gruppe: ihre enorme Offenheit, Musikalität und Neugierde in alle Richtungen einerseits – ergänzt durch die Tatsache, dass sie gleichwohl ziemlich typische Vertreter ihrer Berliner Generation sind. Den Spaß an der Musik merkt man i Civetto so deutlich an, dass sie bald in die Berliner Läden gebucht wurden, in denen sie vorher am Wochenende ausgegangen waren, Techno–Clubs wie Kater Holzig, Wilde Renate und Sisyphos. Nur ein scheinbarer Wiederspruch: il Civetto überführen die Energie und die Beats des Berliner Nachtlebens mit den Mitteln einer Rockband in großen Pop.
Wenn diese inzwischen fünf Leute zusammen Musik machen, entsteht ein einzigartiger Vibe, der auch die diversen Umbesetzungen schadlos überstanden hat. Neben den Genannten haben sich seit einiger Zeit die Gitarristen Dany Ahmed und Robert Kondorosi der Gruppe angeschlossen, die sich nahtlos einfügen und il Civetto zu noch mehr Vielfalt verhelfen.
So begann eine Karriere, die eigentlich gar nicht als eine solche geplant war. Die sich über Jahre behutsam und selbstgesteuert entwickeln konnte. Bis heute spielten il Civetto unzählige Konzerte von Amsterdam über Kopenhagen bis Istanbul, sie traten auf dem Fusion Festival ebenso auf wie beim Montreux Jazz Festival. Ihr erstes, unbetiteltes Album finanzierten il Civetto 2015 noch erfolgreich mittels einer Crowdfunding–Aktion, für das zweite, »Facing The Wall« gab es dann 2019 schon einen kleinen Indie–Deal, zwischendurch waren außerdem zwei EPs erschienen.
Das erste Kapitel ihrer neuen Geschichte haben il Civetto dann kürzlich in den Berliner Hansa Studios aufgeschlagen. Das Studio ist legendär, hier trifft das Wort ausnahmsweise wirklich zu: David Bowie hat dort Teile seiner Berlin–Trilogie produziert, Depeche Mode, U2 und zahlreiche andere nahmen im Hansa Studio prägende Alben auf. Und für il Civetto war das Studio offenbar die richtige Umgebung, um gemeinsam mit dem Produzenten Tim Tautorat die ersten vier Songs unter neuen Vorzeichen aufzunehmen, von denen die Single »Rio–Reiser–Platz« am 20. August erschienen ist.
Das erste, was auffällt: Alle neuen Songs sind auf Deutsch getextet. Eine Entscheidung, die dem stilistischen Multikulturalismus der Gruppe jedoch nur scheinbar entgegensteht. Mindestens so wichtig wie ihre musikalische Offenheit und Vielseitigkeit ist es il Civetto nämlich, verstanden zu werden. In den Interviews zu »Facing the Wall« war den Musikern aufgefallen, dass sie ihre Texte immer wieder ausgiebig erklären mussten – und wer will schon Pop–Texte erklären? il Civetto jedenfalls nicht. Ihre gesellschaftlichen und politischen Anliegen sind ihnen so wichtig wie die Musik selbst. »Themen wie Klimawandel oder Gentrifizierung spielen bei uns automatisch eine Rolle«, sagt Bollinger. »Wir sind politische Menschen, das lässt sich gar nicht von unserer Musik trennen.« Es ging also darum, eine neue Sprache für diese Musik zu finden. Ein Prozess, an dem die ganze Band sich beteiligt hat, der sie noch enger zusammengeschweißt hat und der letztlich aufgegangen ist. »Wir bleiben heute im Bett und halten uns an unserer Liebe fest, stellen den Wecker auf 1. Mai / Für immer und dich, für immer diese Nacht, in deinem Zimmer hier am Rio–Reiser–Platz«, singt Leon Keiditsch etwa in der ersten Single »Rio–Reiser–Platz« zu den Bläsern der Gruppe Seeed – und bringt in diesen wenigen Worten nicht nur drei Anspielungen auf Rio Reiser unter, zu dessen 25. Todestag die Single erschienen ist. il Civetto vermitteln hier vielmehr spielerisch die Grenzmarkierungen aktueller Gentrifizierungsdiskurse zwischen linker Tradition und turbokapitalistischer Gegenwart.
Auch mit dem erhabenen »Neonlicht« wagen il Civetto mehr Pop ohne ihre musikalischen Kerntugenden außer Acht zu lassen. Der Spagat gelingt traumwandlerisch: Musikalisch klingt es anders, aber il Civetto machen hier Musik mit einem ähnlichen Effekt wie jene, die Pierre Baigorry von Seeed als Peter Fox gemacht hat: ein hybrider Pop wider die westliche Kulturdominanz, der aus den bekannten il–Civetto–Quellen weiterhin schöpft, aber durch seine erhabenen Melodien nun tatsächlich zu einer universellen Musiksprache verdichtet wurde.
In der Melancholie von »Luna« oder der bläsergrundierten Bridge, mit der »Rio–Reiser–Platz« gegen Ende in die Unendlichkeit abhebt, ist immer auch gleich das Reisemittel mitgedacht, mit dem il Civetto schon sehr bald ins nächste Abenteuer aufbrechen werden. Denn ebenso wie ihre Freundschaft und die Musik eint die fünf Musiker ihr unstillbares Fernweh: Frühere il–Civetto–Songs wurden unter anderem in Südamerika und Afrika geschrieben, demnächst geht’s nach Spanien.
Dort werden il Civetto ein Album fertig produzieren, dem diese unstillbare Sehnsucht nach der Ferne ebenso eingeschrieben sein wird, wie dem großartigen neuen Song
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